Aktuelle Inhalte aus dem Organisationshandbuch

1.1.2 Funktionsorientierung vs. Prozessorientierung

Typ: Artikel , Schwerpunktthema: Einführung

Die vorherrschende Art der Aufgabenwahrnehmung in der öffentlichen Verwaltung im Rahmen festgelegter Kompetenzen und fester Hierarchien ist gekennzeichnet durch eine starke Funktionsorientierung. Weitere prägende Eigenschaften sind:

  • das Hierarchieprinzip, starke Regelgebundenheit aufgrund enger gesetzlicher Vorgaben,
  • Verrichtungsspezialisierung bei der Leistungserstellung,
  • Trennung von Fach- und Ressourcenverantwortung,
  • aufbauorganisatorische Aspekte bilden den Rahmen für die Abläufe.

Diese Art der Aufgabenwahrnehmung verhindert in starkem Maße Verwaltungswillkür, unterstützt damit die Einhaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips und sorgt für Stabilität und Kontinuität. Sie bringt jedoch auch mögliche Nachteile mit sich:

  • Die teilweise Überregulierung kann die Verwaltung vom eigentlichen Ziel und den Ergebnissen ihrer Tätigkeit (Verwaltungsleistungen und -produkte) ablenken und so ein situationsgerechtes Handeln und die flexible Reaktion auf sich verändernde Bedingungen erschweren.

  • Das Hierarchieprinzip trennt die Entscheidungsbefugnis von der eigentlichen Leistungserstellung und somit von der Problemnähe, indem eine Person einen Vorgang zwar fachlich begleitet, die ausschlaggebende Entscheidung aber die vorgesetzte Stelle fällt. Dies kann zu mangelnder Verantwortungsbereitschaft bis hin zu Entscheidungsunfähigkeit bei den Beschäftigten führen.

  • Die starke Verrichtungsspezialisierung führt zwar zu fachlich fundierten und richtigen Lösungen, die zudem mit günstigem Zeitaufwand erledigt werden, entfremdet die Beschäftigten aber vom Ergebnis. Die Folgen können ungenügendes Qualitätsbewusstsein, Demotivation der Beschäftigten, engstirniges Zuständigkeitsdenken und Bereichsegoismus, also die Beschränkung der eigenen Verantwortungs- und Leistungsbereitschaft auf den eigenen Bereich (bis hin zur eigenen Stelle) sein.

  • Hierarchieprinzip, Verrichtungsspezialisierung und damit die Benachteiligung der Prozesse zugunsten aufbauorganisatorischer Aspekte können den Koordinationsaufwand erhöhen und Informationswege verlängern. Hinzu kommt, dass durch die hohe Zahl an Schnittstellen auch die Zahl der Irrtums- und Fehlerquellen steigen kann.

Die öffentliche Verwaltung sieht sich seit einigen Jahren einem starken Druck zu Veränderungen ausgesetzt. Dieser wurde einerseits durch die notwendige Haushaltskonsolidierung ausgelöst, die zu mehr Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zwingt. Andererseits verstehen die Empfänger der Leistungen des Verwaltungshandelns sich inzwischen nicht mehr als Antrags- oder Bittsteller, sondern als Kunden. Die Verwaltung wird somit zum Dienstleister, von dem die Erstellung eines qualitativ hochwertigen Produktes oder einer Dienstleistung in angemessener Zeit zu angemessenen Kosten erwartet wird.

Den Forderungen nach Effizienz, Effektivität, Qualität und Flexibilität konnte die klassische bürokratische Organisationsform der Verwaltung aus den genannten Gründen nur schwer folgen und so wurde die Notwendigkeit zur Veränderung der Organisationsform und der Verwaltungskultur offensichtlich.

In Anlehnung an die Entwicklungen in der privaten Wirtschaft (Lean Management) und analog zu Modernisierungsbestrebungen der Verwaltung in anderen Ländern hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) die Ideen des "New Public Management" aufgegriffen. Daraus wurde das Konzept "Neues Steuerungsmodell" als Grundlage für eine umfassende kommunale Verwaltungsreform entwickelt. Es integriert betriebswirtschaftliche Ansätze in die Verwaltungskultur und unterstützt somit den Wandel von der Funktions- zur Produkt- bzw. Prozessorientierung.

Hauptmerkmale einer prozessorientierten Organisation sind:

  • Orientierung am Zielobjekt und damit Fokussierung auf Qualität und Effizienz der Aufgabenerledigung,

  • Übergreifende/integrative Wertschöpfungsketten mit geringen Organisations- und Medienbrüchen,

  • flache Hierarchien mit kurzen Informationswegen,

  • Wahrnehmung ausschließlich notwendiger Tätigkeiten (Reduzierung der Aufgaben),

  • Betrachtung der Beschäftigten/Leistungsersteller als entscheidendes Qualitätskriterium (Mitarbeiterorientierung).

Würden die Organisationen der öffentlichen Verwaltung stärker nach den oben genannten Eigenschaften ausgerichtet, könnte das mehrere positive Folgen haben:

  • Der strukturelle Selbsterhaltungstrieb und Bereichsegoismus wird mit Hilfe der Fokussierung auf Kundenzufriedenheit und Qualität weitgehend ausgeschaltet.

  • Schlanke Prozesse mit geringen Organisations- und Medienbrüchen machen die Leistungserstellung effizienter.

  • Die Beschäftigten sind eng mit ihrem Produkt oder ihrer Leistung und somit auch mit deren Qualität verbunden. Die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und Entscheidungen steigt und damit auch die Motivation.

  • Die Transparenz der Verwaltungstätigkeit führt zu mehr Kundenzufriedenheit und zu einem Imagegewinn der öffentlichen Verwaltung.

  • Durch ganzheitliche, transparente Vorgangsbearbeitung nimmt die Flexibilität zu, da auf Ausnahmesituationen und Veränderungen besser reagiert werden kann.

Der Weg von der Funktions- zur Prozessorientierung erfordert verschiedene Schritte:

  • Identifikation und Beschreibung der notwendigen Produkte/Leistungen sowie der Prozesse,

  • Dezentralisierung von Entscheidung und Verantwortung (auch dezentrale Ressourcenverantwortung),

  • Übernahme und konsequente Anwendung geeigneter betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente,

  • stetige Orientierung am Kundennutzen und damit Überprüfung/Anpassung von Art und Qualität der Produkte und Leistungen

  • Umstellung der stark spezialisierten, funktionalen Arbeitsteilung auf ganzheitliche Fallbearbeitung (optimale Abläufe bestimmen den Aufbau der Organisation, nicht umgekehrt),

  • verstärkte Nutzung moderner IT (zum Beispiel Dokumenten-Management-Systeme (DMS), Vorgangsbearbeitungssysteme) zur weiteren Erhöhung von Transparenz und Effizienz sowie zur Überwindung der Konzentration von Expertenwissen bei einzelnen Beschäftigten.

Anders als bei privaten Dienstleistungsunternehmen sind der Bundesverwaltung auf diesem Weg allerdings Grenzen gesetzt. Betriebswirtschaftliche Steuerungsansätze erfordern als Informationsinput unter anderem auch Marktsignale von Kunden und Wettbewerbern. Die öffentliche Verwaltung nimmt aber in großem Maße Aufgaben wahr, für die keine echte Nachfrage im betriebswirtschaftlichen Sinne besteht oder bei der sie monopolistischer Anbieter (fehlender Wettbewerb) ist. Fehlende Marktsignale müssen in diesen Fällen beispielsweise durch Kundenbefragungen, Leistungsvergleiche oder ein Beschwerdemanagement simuliert werden. Weiterhin ist ein häufig verwendetes Argument gegen die Orientierung am Kunden die starke Regelgebundenheit des Verwaltungshandelns. Beschäftigte könnten nicht den Kundenwunsch in den Vordergrund stellen, denn sie seien an die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen gebunden und müssten somit eine Vielzahl von Gesetzen und Verfahrensvorschriften beachten. Beide Aspekte verhindern aber nicht den Wandel der Verwaltung von der bürokratischen Organisation zu öffentlichen Dienstleistungsunternehmen.