Aktuelle Inhalte aus dem Organisationshandbuch

2.5.1 Bewertung des Organisationsprojektes

Typ: Artikel , Schwerpunktthema: Vorgehensmodell

Im Laufe eines Projektes werden ständig neue Erkenntnisse positiver und negativer Art gewonnen. Während jedoch die positiven als Leistungen und Ergebnisse stolz verkündet werden, wird über die negativen Erkenntnisse und Probleme meist der Mantel des Schweigens gehüllt. Die Konsequenz ist, dass gleichartige Fehler sich immer wieder ereignen und mühevoll entwickelte Problemlösungen beim nächsten Projekt erneut erarbeitet werden müssen. Deshalb ist eine gezielte, offene und ehrliche Projektbewertung anzustreben, bei der von allen Projektteammitgliedern die selbstkritische Reflektion des Projektablaufs und der dabei erworbenen Erfahrungen eingefordert wird. In der Praxis wird diese Art der Nachbereitung eines Projektes auch als "Lessons learned", "Post Mortem Analyse" oder "Projekt-Retrospektive"[1] bezeichnet.
Ziel einer Projektbewertung ist also allgemein das Auffinden von Fehlern in der Vergangenheit, das Lernen aus diesen und damit die Verbesserung der Prozesse und Vorgehensweisen in der Zukunft. Auf keinen Fall darf es Ziel einer Projektauswertung sein, die Schuldigen für die Fehler zu finden. Konkrete Ziele der Projektauswertung können die Folgenden sein [2]:

  • Leistungsdaten sammeln: Es soll ermittelt werden, wie viel Aufwand und Mühe tatsächlich in das Projekt eingeflossen sind.
  • Vollständige Übersicht über den Verlauf erlangen: Die Erfahrungen und Erlebnisse aller Projektbeteiligten sollen gesammelt und zusammengeführt werden, damit jeder den gesamten Verlauf des Projektes nachvollziehen kann.
  • Prozess, Vorgehensweisen, Führung und Kultur verbessern: Durch Nachdenken und kritische Reflektion negativer Ereignisse sollen Fehlentwicklungen gefunden werden. Im nächsten Projekt kann dann anders vorgegangen werden.
  • Kollektives Wissen sammeln: Werden Projekte mit wechselnden Projektteams durchgeführt, geht kollektiv erworbenes Wissen nach Beendigung des Projektes und Auflösung des Projektteams verloren. In einer Projektauswertung wird dieses Wissen gesammelt und dokumentiert, so dass es trotz der Auflösung des Teams erhalten bleibt.
  • Schaden im Team reparieren: Projekte sind häufig mit großem Druck und Stress verbunden, so dass es im Team durchaus zu Spannungen innerhalb der persönlichen Beziehungen kommen kann. Eine Projektauswertung kann dazu dienen, diese Spannungen zu analysieren und eventuell angerichteten Schaden durch Aussprache zu reparieren. Dies ist wichtig, um in der Zukunft weiterhin zielgerichtet miteinander arbeiten zu können.
  • Positive Ergebnisse würdigen: Die Würdigung erreichter Projektergebnisse trägt zur Motivation des Projektteams bei und bereitet die Grundlage für die folgenden Projekte.

Um die Ziele der Projektauswertung tatsächlich zu erreichen, ist eine systematische und durchdachte Vorgehensweise und die Einhaltung bestimmter grundsätzlicher Regeln notwendig:

  • Jede teilnehmende Person muss die Möglichkeit haben sich zu äußern, ohne dass sie von anderen unterbrochen wird.
  • Meinungsäußerungen sind kritiklos zu akzeptieren. Die Kritik anderer Meinungen würde zu nicht sachlichen Diskussionen und Schuldzuweisungen führen.
  • Jede teilnehmende Person spricht nur für sich selbst.
  • Witze auf Kosten anderer sind untersagt, da Humor zwar einerseits die Atmosphäre auflockern, aber auch als versteckte Kritik dienen kann, die als Angriff verstanden wird.
  • Die Teilnahme an den Diskussionen sollte freiwillig sein und niemand sollte zum Reden genötigt werden. Erzwungene Aussagen dienen in der Regel nicht dem Ziel des Workshops.

Es besteht bei Nichteinhaltung dieser Regeln die Gefahr, dass eine Projektauswertung in gegenseitigen Vorwürfen und Beschuldigungen endet und genau das Gegenteil von dem erreicht wird, was ursprünglich der Zweck der Auswertung war. Die Projektauswertung wird als Workshop/Moderation durchgeführt, bei dem die Moderation einen zentralen Erfolgsfaktor darstellt.

Ihre Aufgabe ist es, ein sicheres und vertrauensvolles Klima zu schaffen und zu bewahren. Auch muss sie die Beteiligten immer wieder auf den Weg zurückzuführen, an dessen Ziel das gemeinsame Lernen stehen soll. Die Moderation sollte grundsätzlich von einer außen stehenden Person wahrgenommen werden, die nicht am Projekt beteiligt war, da sie ansonsten die notwendige Neutralität und Objektivität nicht besitzt.

Die Projektauswertung erfolgt analog den Phasen eines normalen Workshops. Auf einige Besonderheiten ist allerdings zu achten:

1. Vorbereitung

Da die Moderation durch eine unbeteiligte Person wahrgenommen wird, ist es notwendig, dass sie sich zunächst einen allgemeinen Überblick über das Projekt und dessen Verlauf verschafft. Dies kann mit Hilfe von Interviews mit Schlüsselpersonen (beispielsweise der Projektleitung) oder per Dokumentenanalyse geschehen.

Gemeinsam mit dem Initiator der Projektauswertung (meist eine Führungskraft) sollten dann deren Ziele festgelegt werden.

Anschließend erfolgt die Auswahl der teilnehmenden Personen. In die Auswertung sind alle Projektbeteiligten zu involvieren, zusätzlich können andere betroffene Personen einbezogen werden, die zumindest indirekt beteiligt waren. Bei Bedarf, in der Regel in Abhängigkeit von der Behördenkultur, kann die Auswertung durch Führungskräfte und Projektteammitglieder getrennt erfolgen. Beurteilungsaspekte könnten andernfalls die Offenheit und Objektivität der Beschäftigten beeinflussen.

Die Auswahl des Ortes zur Projektauswertung ist äußerst wichtig für deren Erfolg und darf nicht unterschätzt werden. Es sollte immer ein externer Ort, also außerhalb des eigentlichen Arbeitsortes gewählt werden. Die Beteiligten sind außerhalb eventuell unbefangener und legen nicht die Verhaltensmuster an den Tag, die möglicherweise im Projekt schon zu Problemen geführt haben. Außerdem sind Störungen und Unterbrechungen so weitestgehend ausgeschlossen. Der ideale Zeitpunkt für einen Projektauswertungsworkshop liegt ein bis drei Wochen nach dem Ende des Projektes, aber auf jedem Fall vor dem Beginn des nächsten. Die Beteiligten müssen zunächst die Chance erhalten, Abstand vom Projekt zu gewinnen und Gefühle zu verarbeiten. Sie sollten aber nicht bereits in ein nächstes Projekt oder andere wichtige Aufgaben involviert sein, da sie sonst nicht die notwendige Ruhe für die Retrospektive haben.

Die Dauer einer Projektauswertung hängt von der Dauer und der Größe des Projektes ab und selbstverständlich davon, wie problembehaftet das Projekt gewesen ist. Die Durchführungsdauer sollte aber großzügig gewählt werden, um tatsächlich Ergebnisse zu erzielen. Ein Projekt, welches ein halbes Jahr dauerte und an dem fünf Personen beteiligt waren, lässt sich nicht innerhalb weniger Stunden effektiv auswerten. Zwei bis drei Tage sollten für einen nachhaltigen Lerneffekt eingeplant werden, denn durch die für die Auswertung aufgewendete Zeit kann möglicherweise bei künftigen Projekten Laufzeit reduziert werden.


2. Durchführung

Während der Durchführung sollen die Beteiligten Aussagen zu folgenden Fragen machen:

  • Was ist im Projekt gut gelaufen?
  • Was ist nicht gut gelaufen? Welche Fehler sind passiert?
  • Welche Ursachen könnte das haben?
  • Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es für die angesprochenen Probleme?
  • Wie könnte es beim nächsten Projekt besser laufen?

Hauptaufgabe der moderierenden Person bei der Durchführung der Projektauswertung ist es, eine positive und vertrauensvolle Stimmung zu sichern und es den Beteiligten so zu ermöglichen, selbstkritisch zu sein, ohne dass sie die Befürchtung negativer Konsequenzen haben.

3. Dokumentation und Auswertung

Die gesammelten Informationen sollten in einem Bericht zusammengefasst werden.

Diese Aufgabe sollte im Falle einer Projekt-Retrospektive immer bei den Beteiligten selbst liegen. Dadurch wird die Akzeptanz und Weiterverwendung der Ergebnisse gefördert. Inhalte des Berichts können sein:

  • Ziele der Projektauswertung,
  • Rückblick auf den Ablauf der Auswertung,
  • Zusammenfassung des Projektes,
  • Ist-Daten des Projektes (Dauer, beteiligte Personen, Kosten, Ergebnisse) im Vergleich zu den geplanten Daten,
  • Projekterfolge,
  • Erfahrungen aus dem Projekt,
  • Änderungsanregungen/ Empfehlungen,
  • ungelöste Probleme.

Um sicherzustellen, dass das gesammelte Wissen auch weiter verwendet und verbreitet wird, sollte der Bericht allen in der Organisation zugehen, die Projektarbeit leisten. Eine Präsentation der erlangten Erkenntnisse vor interessiertem Publikum trägt ebenfalls zur Wissensverbreitung und -erhaltung bei.

Fußnote

[1] Vgl. Kerth (2003), S.16.
[2] ebenda, S.66 ff.