2.3.3 Prozesse identifizieren und priorisieren

Typ: Artikel , Schwerpunktthema: Organisationshandbuch

Prozesse können in der Regel anhand der Aufgaben der jeweiligen Organisationseinheiten in Zusammenhang mit den Aufgaben der weiteren beteiligten Organisationseinheiten identifiziert werden. Allerdings sollten die Aufgaben in verschiedene Prozesse oder Teilprozesse aufgeteilt werden, die es genau zu definieren gilt.

Bis eine einfache erste Prozessbeschreibung (Input + Aktivitäten + Output, siehe Abbildung 2) vorliegt, sind in der Praxis häufig eine Fülle von Gesprächen über die Abläufe mit den beteiligten Beschäftigten sowie ein Studium der dazu benötigten Unterlagen notwendig, um Missverständnisse und Stolperfallen auszuräumen.

Ein einfaches Beispiel aus dem Alltagsleben soll dies verdeutlichen:

Der alltägliche Prozessablauf "Brötchen holen" wird von Person A anhand der folgenden sechs Aktivitäten beschrieben:

verweist auf: Abbildung 4: Beispiel eines AlltagsprozessesQuelle: eigene Darstellung

–Abbildung 4: Beispiel eines Alltagsprozesses

Person B ist nicht einverstanden; aus ihrer Sicht gehört die Aktivität "Anziehen" nicht zum Prozess "Brötchen holen". Person C möchte Aktivitäten wie "Familie befragen" und "Geld besorgen" in den Prozess integrieren. Eine weitere Person möchte unterscheiden, ob man zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto zum Bäcker gelangt. Schließlich kommt auch noch die Idee auf, den Prozess "Brötchen holen" in die Teilprozesse "Brötchen aussuchen" und "Brötchen bezahlen" zu gliedern und den Teilprozessen entsprechende Aktivitäten zuzuordnen.

Wenn schon in einem solch einfachen Prozess so viele unterschiedliche Sichtweisen möglich sind, wird deutlich, wie herausfordernd die Aufgabe der eindeutigen Prozessabgrenzung in der Verwaltungspraxis ist. Die hier zu steuernden Prozesse sind oftmals komplex, umfangreich und meist arbeitsteilig wahrzunehmen. Ohne eine systematische Klärung der Fragen wer, was, wann, wie und wozu macht, kann ein gemeinsames Prozessverständnis der am jeweiligen Prozess beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht entwickelt werden.

Jeder identifizierte Prozess ist mit einer eindeutigen Bezeichnung zu versehen. Sie sollte immer aus Substantiv + Verb (Objekt und Verrichtung[13]) bestehen und einer Prozessart zugeordnet werden, z. B.:

  • Beihilfen bearbeiten (Kernprozess),
  • Fortbildungsplan erstellen (Unterstützungsprozess),
  • Beschäftigtengespräch durchführen (Führungsprozess).

Sind die Prozesse identifiziert, voneinander abgegrenzt, eindeutig bezeichnet und einer Prozessart zugeordnet, kann daraus eine Prozessübersicht in Form eines Prozessregisters erstellt werden (vgl. Abbildung 4). Diese Übersicht schafft eine umfassende Transparenz über alle in einem Bereich ablaufenden Prozesse und ist Voraussetzung für die anschließende Detaildokumentation und Analyse der Prozesse.

verweist auf: Abbildung 5: ProzessregisterQuelle: eigene Darstellung

–Abbildung 5: Beispiel eines Prozessregisters [14]

Allerdings ist es aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nicht ratsam, alle Prozesse in gleicher Tiefe und Breite detailliert zu dokumentieren und zu analysieren. Deshalb ist es erforderlich, diejenigen Prozesse zu identifizieren, die für den Erfolg der Organisation von größter Bedeutung sind, z. B. weil sie am häufigsten durchlaufen werden oder weil das meiste Personal darin gebunden wird. Optimierungen in diesen Prozessen haben die größten positiven Auswirkungen, Aufwand und Nutzen stehen in einem besonders guten Verhältnis – vorausgesetzt, die erkannten Optimierungspotenziale werden konsequent umgesetzt, und die Wirksamkeit der Maßnahmen wird überwacht.

Besonders geeignete Methoden für die Priorisierung der Prozesse sind die Nutzwertanalyse und die ABC-Analyse.

verweist auf: LiteraturverzeichnisLiteraturhinweis/Bildquelle: BMI

Ausführliche Informationen zur Priorisierung von Prozessen: Bundesverwaltungsamt (Hrsg.): Leitfaden für die Auswahl von Geschäftsprozessen, Schriftenreihe des Kompetenzzentrums Prozessmanagement, Köln 2015.

Excel-Vorlage für die Nutzwertanalyse

Liegen bereits Kennzahlen für einen Prozess vor, kann auch die Analyse der Kennzahlen (z. B. Durchlaufzeiten, Bearbeitungszeiten, Liegezeiten usw.) für die Priorisierung herangezogen werden.

Wenn ein übergreifendes Prozessmanagement eingeführt wird, werden hier Priorisierungskriterien für diejenigen Prozesse entwickelt, die als erste in das übergreifende Prozessmanagement zu integrieren sind. Sie können sich von den Kriterien unterscheiden, die dezentral in den Fachbereichen zugrunde gelegt wurden. Grund für diese Abweichung ist die dann eingenommene Perspektive "Gesamtorganisation".

Praxisbeispiel Priorisierungskriterien

Unabhängig von der Priorisierung empfiehlt es sich, für alle Prozesse die wichtigsten Prozessmerkmale zu erfassen und übersichtlich zu dokumentieren. Hieraus lassen sich u. a. auch für die Nutzwertanalyse und die ABC-Analyse wichtige Informationen gewinnen. Eine umfassendere Prozessdokumentation einschließlich der Darstellung des Prozessablaufs sollte dann zunächst nur für die am höchsten priorisierten Prozesse erstellt werden. Dabei empfiehlt es sich, zunächst die Prozesse zu erfassen und zu dokumentieren und im Anschluss zu analysieren und optimieren, die zeitnah digitalisiert werden sollen. Dies vermeidet eine eventuell notwendige erneute Prozessaufnahme, wenn sich der Prozess zwischen erster Dokumentation und Digitalisierung weiterentwickelt haben sollte.

Praxistipp/Bildquelle: BMI

  • Es kann aber auch vorkommen, dass ein niedrig priorisierter Prozess detailliert erhoben und dokumentiert werden muss, um ihn anschließend zu analysieren und Schwachstellen zu beseitigen. Gründe können z. B. aktuelle politische Ereignisse (auch: Entwicklungen) oder eine besondere Fehleranfälligkeit sein. Der Fokus auf gering priorisierte Prozesse sollte jedoch eine Ausnahme darstellen.
  • Für den Erfolg des prozessorientierten Arbeitens ist die Einbeziehung aller Beteiligten von großer Bedeutung. Nur wenn diese sich mit "ihrem" Prozess identifizieren, werden sie bereit und motiviert sein, den Erfolg des Prozesses ständig im Blick zu haben und kontinuierlich ihr Augenmerk auf Verbesserungspotenziale zu legen. Um von Anfang an einen so motivierten Teamgeist zu fördern, müssen die Prozessbeteiligten in allen Schritten von der Identifikation der Prozesse bis hin zu ihrer kontinuierlichen Steuerung beteiligt werden.
  • Die Führungskräfte der Organisationseinheiten, die sich auf den Weg des prozessorientierten Arbeitens machen, sollten sich frühzeitig die Unterstützung der für sie zuständigen Organisatorinnen und Organisatoren sichern. Sie sollten sich zu allen in den folgenden Schritten beschriebenen Aktivitäten beraten lassen und auch die Methodenkompetenz der Organisatorinnen und Organisatoren etwa zur Prozessdokumentation und –analyse nutzen.

Fußnote

[13] REFA-Bundesverband für Arbeitsstudien e.V., Abruf: 20.09.2021.
[14] Quelle: Netzwerk Prozessmanagement (Hrsg.): Einführung in das strategische Prozessmanagement, 2017., S. 14.

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