Process Mining

Typ: Artikel , Schwerpunktthema: Methoden und Techniken

Methodensteckbrief
Bezeichnung der Methode / TechnikProcess Mining
Kategorie (Zweck)
Anwendungsbereiche

Automatisierte IST-Prozessaufnahme und -visualisierung aller Varianten einschließlich Häufigkeiten und Durchlaufzeiten in einem Self-Service-Ansatz. Im Einzelnen:

  • Analyse von IST-Prozessabläufen (Performance/ Compliance),
  • Messung und Visualisierung von KPI (Key Performance Indicators, Schlüsselkennzahlen) in Echtzeit (Dashboarding),
  • Identifizierung, Bewertung und Messung von Auswirkungen,
  • Identifizierung von Automatisierungs-potenzialen (z.B. Software Roboter),
  • Prozessabgleich (Abgleich IST-Prozess vs. modellierter Prozess vs. SOLL-Prozess; mögliche Nutzung im Rahmen der Realisierung, z.B. bei wesentlichen Änderungen im IT-System).
KurzbeschreibungSoftwaregestützt werden die digitalen „Fuß-abdrücke“ aus unterschiedlichen Anwendungen zu einem Ende-zu-Ende-Prozess verbunden, visualisiert und über „Drag&Drop“-Funktionen durch den Anwender oder die Anwenderin auswertbar.
Voraussetzungen / Rahmenbedingungen / Grundlagen
(z. B.: Was muss vorausgegangen sein? Welche
Dokumente / Daten müssen vorliegen?
In welchem Ausmaß sind Schulungen / Erfahrungen erforderlich?

Voraussetzungen sind:

  • Digitaler Prozessablauf (z.B. SAP, Access, Excel),
  • Process Mining Software,
  • Implementierung der Software (14 Tage),
  • Schulung der Anwender (2 Tage),
  • Verknüpfung der Software mit den relevanten (Roh-) Datentabellen (14 Tage Schulung für IT-Fachkraft).
Grobe Einschätzung des Zeit- und PersonalaufwandesDie IST-Prozessaufnahme und-visualisierung aller Varianten einschließlich Häufigkeiten und Durchlaufzeiten ist mit der Implementierung der Software abgeschlossen.
Die Durchführung der einzelnen Analysen sowie die Erstellung der Dashboards ist abhängig von der Komplexität, liegt aber eher im Stundenbereich.
Vorteile/Stärken der Methode
  • Zeitersparnis in der Prozessanalyse,
  • Validere Analyseergebnisse durch quantitative Analysen,
  • Controlling der Auswirkungen entwickelter Maßnahmen durch permanente Echtzeitdaten.
Risiken, Stolperfallen, „darauf sollten Sie achten“
  • Keine Messung personenspezifischer Leistungen (Einbindung der Personalvertretung),
  • Reduzierung der Analysemöglichkeit auf den jeweiligen Verantwortungsbereich (Rollen und Berechtigungen).

Ziele und Anwendungsszenarien

Process Mining ist eine Disziplin der Datenanalyse, die es ermöglicht, die in den vorhandenen EDV-Systemen automatisch gesammelten Prozessdaten auch über Self-Service-Ansätze sicht- und nutzbar zu machen – d.h. in ebenengerechte Informationen für Führungskräfte zu transformieren.[1] Dazu werden die in den Anwendungssystemen gespeicherten einzelnen Transaktionen mit den automatisch vergebenen Zeitstempeln zu einem Ende-zu-Ende-Prozess zusammengefügt und visuell aufbereitet. Die Zusammenführung erfolgt über eine führende ID-Nummer (z.B. Belegnummer).[2]

Für die Auswertungen können weitere Attribute und Stammdaten hinzugefügt werden, z.B. Materialgruppen, Organisationseinheit, Region, Lieferanten, Qualitätsangaben, Mengen, Kosten usw.

Process Mining kann mit ganz unterschiedlichen Zielstellungen innerhalb der Prozess-Steuerung genutzt werden. Dazu gehören insbesondere:

  • Tatsächliche Prozesse erkennen und quantifizieren
    Die tatsächlich abgelaufenen Prozesse unterscheiden sich häufig deutlich von den modellierten oder erwarteten SOLL-Prozessen. Durch den Rückgriff auf die Gesamtheit der Transaktionen entsteht mit Process Mining ein komplettes Bild über alle in der Organisation ablaufenden Prozessvarianten. Darüber hinaus können die Prozesse in den jeweiligen Varianten quantitativ bewertet werden, insbesondere hinsichtlich der Fallzahlen und Durchlaufzeiten, aber auch anhand weiterer vorhandener Attribute.

  • Beitrag zur Prozessoptimierung
    Mit diesen Daten können quantitative und qualitative Analysen entlang des Prozessablaufs mit unterschiedlichen Zielsetzungen durchgeführt werden, z.B. Verkürzung von Prozessdurchlaufzeiten, Identifizierung und Bewertung von Automatisierungspotenzialen oder Abweichungen von Compliance-Vorgaben. Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge können über Tiefenanalysen (sogenannte Deep Dives) und Filterfunktionen ermittelt werden, so dass auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse Maßnahmen zur Prozessoptimierung entwickelt und umgesetzt werden können, deren Auswirkungen im nächsten Schritt gemessen werden. Im Gegensatz zu vielen Berichtsfunktionen müssen die zu beantwortenden Fragen nicht im Vorfeld detailliert definiert werden. Process Mining setzt auf Rohdaten auf und nicht auf aggregierten Daten, wie es in bestehenden Berichtsfunktionen der Fall ist. Dadurch sind Erkenntnisse über Ursachen möglich, die zu Beginn der Untersuchung noch nicht im Fokus standen.

  • Prozesse vergleichen
    Ein aufgenommener Prozess kann aber auch gegen einen zweiten Prozess, z. B. gegen den in der Prozessdatenbank dokumentierten SOLL-Prozess, gespiegelt werden. Auf diese Weise können Abweichungen von Vorgaben (z.B. Vieraugenprinzip, Autorisierungsgrenzen) quantifiziert werden. Außerdem ist der Vergleich von Prozessen unterschiedlicher Organisationseinheiten zur Identifizierung und Übertragung von Best-Practice-Ansätzen möglich. In der Bundeswehr werden Anwendungsmöglichkeiten von Process Mining im Rahmen eines Pilotprojektes untersucht.

  • Prozesse steuern
    Über die Prozessoptimierung hinaus bietet Process Mining ein hohes Potenzial für die arbeitstägliche Verbesserung der Prozesssteuerung: Automatisch generierte Prozess-Kennzahlen ergänzen bestehende Kennzahlensysteme.

Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Grundlagen

Wesentliche Voraussetzungen für die Durchführung eines Process Mining sind:

  • digitale Prozessabläufe, in denen die durchgeführten Transaktionen mit einem Zeitstempel versehen werden,
  • eine durch den gesamten Prozess nachvollziehbare eindeutige ID (z.B. Belegnummer),
  • eine klare Benennung der jeweiligen Transaktion (z.B. Bestellung anlegen).

Darüber hinaus wird eine Process Mining Software benötigt, die an die relevanten Datenquellen anzuschließen ist. Nach einem Lizenzerwerb kann für die Softwareimplementierung und die Extraktion der relevanten Prozessdaten ein Zeitansatz von etwa 14 Tagen veranschlagt werden. Für die Anbindung der Daten sind zunächst spezifische IT-Kenntnisse notwendig (z.B. Kenntnis der Systemarchitektur, Fähigkeiten in SQL o.ä.). Hierzu ist die Benennung eines integrierten Projektteams aus IT-Fachleuten und Prozessexperten zu empfehlen. Die Schulung der eigentlichen Anwenderinnen und Anwender beansprucht etwa zwei Tage und ist oft online möglich.

Üblicherweise werden zunächst in einer Pilotanwendung Machbarkeit und Nutzen geprüft. Hier bieten sich Standardprozesse wie beispielsweise der Einkaufsprozess an, da sich die notwendigen Daten aus den Quellsystemen einfach ermitteln lassen und die Softwareanbieter oftmals schon fast fertige „Datenschablonen“ besitzen.

Vorteile und Stärken

Ein wesentlicher Vorteil von Process Mining ist die Schnelligkeit und Vollständigkeit der Dokumentation der tatsächlich ablaufenden Prozesse. Dies kann gerade bei wesentlichen Änderungen von IT-Systemen (vgl. §9 (3) EGovG) von Bedeutung sein oder wenn die im IT-System aktuell ablaufenden Prozesse im Laufe der Zeit von dem bei Einführung der IT dokumentierten Stand abweichen. Gerade für komplexe Prozesse ist diese Erhebung z.B. über Experteninterviews oft langwierig, widersprüchlich und in der Regel unvollständig. Mit dem Anschluss der Software an die Datenfelder ist die Prozessaufnahme und -visualisierung für alle in der Organisation abgelaufenen Prozessvarianten abgeschlossen.

Darüber hinaus ist eine quantitative und qualitative Analyse der Prozesse möglich, das bedeutet: Die Identifikation und Bewertung von Hemmnissen, die Entwicklung von Maßnahmen und deren Priorisierung erfolgen nicht mehr nur aufgrund subjektiver Experteneinschätzungen, sondern können objektiv durch quantitative Messergebnisse ergänzt werden.

Durch den Anschluss an die originären Rohdaten können die Ursachen der Hemmnisse zum einen sehr genau identifiziert werden, was die Ableitung genau passender Gegenmaßnahmen ermöglicht. Zum anderen können Ursachen aber auch in Bereichen gefunden werden, die zu Beginn der Analyse nicht im Fokus standen.

Anders als bei einer „Einmalaufnahme“ der Prozesse, bei der die Wirkung der entwickelten Maßnahmen selten nachgehalten werden kann, bietet Process Mining eine kontinuierliche Messung der relevanten KPI (Key Performance Indicators, Schlüsselkennzahlen) in Echtzeit.

Ein weiterer Vorteil der Anwendung ist die hohe Bedienerfreundlichkeit. War es bisher nur mit tiefergehenden Programmierkenntnissen möglich, aus den vorhandenen Prozessdaten Informationen zu gewinnen, erfolgt dies in den Process Mining Tools in einem Self-Service-Ansatz. Mittels einfacher Drag&Drop-Funktionen können Anwenderinnen und Anwender die Analysen durchführen, relevante Kennzahlen erstellen und in ihre persönlichen Dashboards einbauen. Dies spart Zeit und Abstimmungsbedarf zwischen den Nutzerinnen und Nutzern und der IT und erlaubt eine hohe Flexibilität in der Nutzung.

Risiken und Stolperfallen

Process Mining wir oftmals auch als „Revolution der Prozessoptimierung“ bezeichnet; dies betrifft zum einen den Umfang an Transparenz, zum anderen aber auch die zunehmende Ausrichtung der Organisation, Entscheidungen datenbasiert zu treffen. Daher ist es wichtig, die Einführung mit einem Veränderungsmanagement zu begleiten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten darin gefördert und ermutigt werden, sich Problemstellungen faktenbasiert zu nähern und diese dann bestenfalls auch selbstständig zu lösen. Dazu müssen die Kompetenzen der Beschäftigten erweitert werden und ein direkter Zugang zu den Daten muss unkompliziert möglich sein. Die damit einhergehende Transparenz erfordert in der Organisation ein hohes Maß an Vertrauen. Eine frühzeitige Einbindung der Personalvertretung kann helfen, Risiken von ungewollten Messungen (z.B. Messung persönlicher Leistungen) entgegenzuwirken. Im Zuge der Implementierung ist ein geeignetes Rollen- und Berechtigungskonzept mitzudenken, um den Fachabteilungen ein wirkungsvolles Process Mining zu ermöglichen.

Begleitend zur Einführung von Process Mining müssen die benötigten analytischen, technologischen und organisatorischen Kompetenzen im Zuge der Pilotierung definiert werden. Analytische Kompetenzen können zum Beispiel Kenntnisse zu statistischen Modellen oder zur optimalen Visualisierung der Daten umfassen. Technologische Kompetenzen sind vor allem für die Datenbereitstellung wichtig – es gilt Datenflüsse zu verstehen, zu modellieren und zu optimieren. Dies setzt auch ein umfangreiches Verständnis der Daten- und Systemlandschaft voraus. Darüber hinaus werden Kompetenzen benötigt, die inhaltliche Fragestellungen aus der Organisation mit der analytischen und technologischen Perspektive zusammenbringen. All diese Kompetenzen könnten zukünftig in spezifischen Arbeitsplätzen und Dienstposten gebündelt werden (z.B. Data Architects, Data Scientists, Business Analysts). Die mit Process-Mining erhobenen Daten sollten in der eingeführten Modellierungssoftware dargestellt und weiterverwendet werden können. Gegebenenfalls können Process-Mining Module zur jeweils eingeführten Modellierungssoftware einen praktikablen Weg darstellen.

Fußnoten

[1] Zur Abgrenzung von Data Analytics und Data Mining zu Process Mining: Scheer 2020, S.86: „Die automatische Suche in Datenbeständen, um unerwartete Muster und Zusammenhänge zu erkennen und diese in gut verständlicher, häufig grafischer Form aufzubereiten, wird generell als Data Mining bezeichnet und gehört zum Gebiet der Data Analytics. Wird dieses Vorgehen auf Geschäftsprozesse angewendet, so wird es als Process Mining bezeichnet.“
[2] Vgl. Scheer 2020, S. 88ff.

Literaturverzeichnis

Peters, Ralf; Nauroth, Markus: Process-Mining, Geschäftsprozesse: smart, schnell und einfach, 2019, Springer, Mainz.
Scheer, August-Wilhelm: Vom disruptiven Geschäftsmodell zur Automatisierung der Geschäftsprozesse, 2020, Springer, Saarbrücken.
Krüger, Marcus; Helmers, Ingmar: Process Mining in der Energiewirtschaft – Einsatzgebiete und Erfahrungen, in: Doleski, Oliver D.(Hrsg.): Realisierung Utility 4.0, Band 2, 2020, Springer, Wiesbaden.
van der Aalst, Wil: Process Mining, Data Science in Action, 2016, Springer, Berlin, Heidelberg.